Initiative “Stolpersteine in Karben”
Stolpersteine in Okarben
Verfolgung der Juden im Nationalsozialismus: Übersicht (Zeittafel) >hier
Großgasse 1
Hier wohnte Bella und Hans Grünewald...
Bericht der “Frankfurter Neue Presse” am 09.11.2005
(von Susanne Krejcik)
Jakob Grünewald, geboren am 7. November 1865, war
eines von acht Kindern der Eheleute Regine und Herz
Grünewald aus der Großgasse 1 in Okarben. Als junger
Mann übernahm Jakob gemeinsam mit seinem Bruder
Sally die elterliche Firma. Schon der Vater hatte mit
landwirtschaftlichen Produkten wie Kartoffeln, Saatgut und Tierfutter gehandelt.
Seine geschäftlichen Reisen führten Jakob nach Fürth bei Nürnberg, wo er Bella Fleischmann kennen lernte,
geboren am 11. Mai 1882. Die beiden heirateten trotz des Altersunterschiedes von 17 Jahren am 24. Dezember
1900. Ihr einziger Sohn Hans wurde am 11. September 1901 in Okarben
geboren.
Über Leben und Alltag von
Bella und Jakob in der Okärber
Großgasse ist nicht viel
bekannt. Sohn Hans besuchte
die Volksschule, liebte Bücher
und seinen Hund «Lumpi».
Davon hat Hanna Beer (84),
die Nichte von Bella
Grünewald, berichtet. Hanna
Beer wurde in München
geboren und lebt heute in
Nizza, wo sie Ellen Holz von
der Initiative Stolpersteine im
vergangenen Jahr besucht hat.
Bella galt als sehr fürsorgliche
Mutter. So erinnert sich Hanna
Beer an ihren letzten Besuch
bei der Tante in Okarben. Im
April 1933 floh Hanna mit
ihrer Mutter und den
Geschwistern von München
nach Antwerpen. Beim
Zwischenstopp bei Tante Bella
in Okarben habe diese bis spät in die Nacht kochend und backend in der Küche gestanden, um die Verwandten
für die Reise mit reichlich Proviant zu versorgen, erinnert sich Hanna Beer.
Bella wird als zurückhaltende Frau beschrieben, ganz im Gegenteil zu ihrer Schwägerin Klara, die mit
Ehemann Sally und den Töchtern Gerdi und Lilly im selben Haus in der Großgasse 1 wohnte.
Die Brüder Sally und Jakob starben kurz hintereinander zwischen 1930 und 1931. Für Sally gibt es einen
Grabstein auf dem jüdischen Friedhof in Groß-Karben.
Nach dem Tod ihres Mannes führte Klara das Geschäft mit dem Landhandel zunächst weiter. Lya Löffler,
Okärber Bürgerin, erinnert sich daran, wie sie als Kind heimlich vom leckeren Schokoladenpudding genascht
hat, den Klara Grünewald stets am Wochenende zur Kühlung in die Gaststätte «Zum Kühlen Grunde» in der
Untergasse gebracht habe.
Klara gelang im Sommer 1938 die Auswanderung nach Palästina. Ihre beiden Töchter Lilly und Gerdi waren
bereits ein Jahr zuvor nach Palästina ausgereist, alle drei Frauen überlebten den Holocaust. Mit Klara
Grünewald verließ die letzte Jüdin Okarben.
Bella indes ließ sich in den Jahren zuvor auch von Familienangehörigen nicht zur Auswanderung überreden.
Sie wollte in der Nähe ihres Sohnes Hans bleiben. Hans studierte Jura und schloss sein Studium mit der
Promotion ab, eine Laufbahn als Richter indes blieb ihm als Jude verwehrt.
Wann er Okarben verließ, ist nicht bekannt. Hans engagierte sich im Untergrund und half Juden bei der
Flucht über die Grenze nach Holland. Eine Zeit lang wohnte er bei seiner Tante Rosa Igersheimer in der
Savignystraße im Frankfurter Westend.
Um den Aktivitäten ihres Sohnes auf die Spur zu kommen, «haben die Nationalsozialisten Bella Grünewald
mehrfach repressiv verhört», berichtet Ellen Holz. Für die Initiative Stolpersteine hat sie die Schicksale von
Okärber jüdischen Familien recherchiert. Die Repressalien der Nazis hätten Bella in die Verzweiflung
getrieben, sagt Holz.
Daher hat Bella Grünewald am 20. März 1935 ihrem Leben mit einer Überdosis Schlaftabletten ein Ende
gesetzt. Zu diesem Zeitpunkt wohnte sie in der Beethovenstraße 5a in Frankfurt. Bella Grünewalds Grabstein
steht auf dem Jüdischen Friedhof in Frankfurt.
Am 11. November 1941 wurde Hans Grünewald im Alter von 40 Jahren von Frankfurt aus ins Ghetto Minsk
deportiert und ermordet.
Weitere Informationen:
"Juden in Okarben“ >hier
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Hauptstraße 29
Hier wohnte Heinrich Agel...
Er wurde im Jahr 1910 in Okarben geboren
und lernte nach der Schulausbildung das
Schuhmacherhandwerk. Er engagierte sich
bei dem neu gegründeten Verein der
Naturfreunde Okarben und trat in die örtliche
KPD ein.
Im Jahr 1933 - unmittelbar nach der
Machtergreifung der Nazis - wurde er wegen
seiner Mitgliedschaft in der KPD sowie bei den
örtlichen Naturfreunden unter Polizeiaufsicht
gestellt. Wiederholt wurde er nachts durch die
SA aus dem Bett geholt, zum Ablegen eines
Protokolls in die Bürgermeisterei gebracht und
auf dem Rückweg zu seiner Wohnung von
bewaffneten SA-Männern verprügelt.
Als Heinrich Agel im Juli 1933 im Anschluss
an eine Mitgliederversammlung in der
Gaststätte Gräf in Okarben auf der Straße
noch mit Freunden über die Überführung von
freien Vereinen in Nazi-Organisationen
diskutierte, wurden sie vom damaligen
Nachtwächter belauscht, der ihn dann
denunzierte. Im Polizeibericht ist festgehalten,
dass Heinrich Agel folgendes gesagt haben
soll: "Solchen Kack unterschreibe ich nicht ...
und überhaupt, unter solche Obhut stelle ich mich nicht".
Die Landesgendarmerie, Station Groß-Karben, meldete sofort am nächsten Tag den "Vorgang" dem
Hessischen Kreisamt Friedberg mit folgender Abschlussbemerkung: "Es erweckt ohne weiteres den Anschein,
dass Agel diese Äußerungen getan hat, denn es ist kaum denkbar, dass Herr G. dieselben aus der Luft
gegriffen hat. Bemerkt wird, dass gerade Agel früher - trotz seiner Jugend - schon wiederholt kommunistische
Versammlungen geleitet hat ... Er soll auch der Führer von den Naturfreunden gewesen sein. Der
Unterzeichner ist der Ansicht ... es dürfte daher als angebracht erscheinen, dass Agel in das
Konzentrationslager Osthofen verbracht wird, denn dies würde auch auf die anderen Funktionäre moralisch
einwirken..."
Am 16. Sept. 1933 wurde Agel verhaftet und nach einer "Spruchkammer- Verhandlung" wegen
kommunistischer Betätigung und missfälliger Äußerungen gegen die Anordnungen der Reichsregierung ("... er
ist der schwerste Verbrecher, den wir hier haben...") vom 19. Sept. 1933 bis zum 1. November 1933 im KZ
Osthofen interniert, wo er schwersten Misshandlungen ausgesetzt war.
Zurück in Okarben verhinderte man immer wieder seine Tätigkeit als selbständiger Schuhmacher. Ab Februar
1940 arbeitete er bei der Reichsbahn als Güterbodenarbeiter, später aus gesundheitlichen Gründen bei der
Zugabfertigung als Bote.
Nach dem Krieg legte er noch einmal seine Meisterprüfung als Schuhmacher ab. 1939 hatte er bereits die
Meisterprüfung im praktischen Teil bestanden, nicht jedoch im Bereich "Gesetzeskunde"(!!!). Er arbeitete aber
weiter bei der Bahn. Hier legte er die Laufbahnprüfung zum Beamten mit Erfolg ab, wurde aber - wegen seiner
schlechten gesundheitlichen Verfassung (Gutachten des Bahnarztes) nicht mehr in die Beamtenlaufbahn
übernommen...
Damit hatte die Internierung im KZ Osthofen im Jahr 1933 für Heinrich Agel nicht nur gravierende
gesundheitliche Auswirkungen, sondern wirkte sich auch - vor und nach dem Krieg - massiv auf sein
Berufsleben und auf seine Familie aus.
Mehr unter “Politisch Verfolgte in Okarben” >hier
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Hauptstraße 55
Hier wohnte Adolf und Selma Kahn...
Adolf Kahn, am 15.03.1883 in Okarben
geboren, war reisender Textilkaufmann. Sein
Vater Abraham Kahn, der am 15.07.1843
geboren und am 30.01.1932 gestorben ist,
wohnte im gleichen Haus.
Adolfs Frau Selma war eine geborene Hirsch
(geb 04.10.1878 in Herborn/Dillkreis) und
verkaufte im Geschäft Kurzwaren.
Nachdem Adolf Kahn und seine Frau von den
Nazis nicht nur drangsaliert sondern auch
bedroht wurden und sogar in ihre Fenster
geschossen wurde, flüchteten beide am 17.
August 1936 in die vermeintliche Sicherheit
nach Frankfurt in die Rückertstraße 45.
Jedoch wurden sie von dort im Mai 1942 in die Region Lublin verschleppt und in einem KZ ermordet.
Weitere Informationen:
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